Musikalisch/Unmusikalisch (Kann das sein?)

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    • #21992 Antworten
      Thomas
      Teilnehmer

      Hallo zusammen!

      Zu diesem Thema einer Mail von Felix vom 08.09. möchte nun doch mal was zum Besten geben, weil, gerade am Samstag hat mir wieder einer gesagt, dass er unmusikalisch sei.
      Meine erste Frage immer hierzu lautet: Woher weißt Du denn das?
      Ich möchte zunächst wissen, wie derjenige auf diese Aussage kommt, ober er es nur selber denkt oder ob er das vielleicht gesagt bekommen hat und es stillschweigend akzeptiert.
      Auch wenn er es selber denkt, weiß er es nicht wirklich, vielleicht hatte er bisher nur einfach nicht den richtigen Zugang zur Musik oder den notwendigen initialen Anreiz.

      Ich selber habe in der Schule von meinem Musiklehrer gesagt bekommen: „…so etwas unmusikalisches wie Sie habe ich noch nie erlebt!“
      Was war passiert? Ich hätte vorsingen sollen und habe mich geweigert vorzusingen, weil ich nicht singen kann.
      Ich habe sein Urteil und die Sechs die ich bekomme habe aber stillschweigend akzeptiert.
      Eigentlich hätte ich sagen sollen: „Ich möchte nicht vorsingen, weil ich nicht singen kann, und ich kann deswegen nicht singen, weil es mir niemand beigebracht hat, was aber bei mir erforderlich wäre“

      Klaro, anderen hatte man das Singen auch nicht explizit gelernt, sie hatten aber den Zugang dazu oder auch den (eigenen) initialen Anreiz. Ich konnte jedenfalls meine Stimme nicht kontrollieren und mir hätte man das vielleicht lernen müssen. Und zwar unter vier Augen und nicht vor einer versammelten Klasse.

      Ein paar Jahre später. Der besagte Musiklehrer war auch im Kirchenchor engagiert. Er sang da mit, und es gab gemeinsame Proben mit Kirchenchor und Posaunenchor.
      Er sah immer wieder fragend zu mir herüber, als könne da irgendwas nicht stimmen. Aber richtig, der Mann mit der Trompete, der alleine die Sopranstimme bewältigen musste, das war ich.
      Bei mir war der initiale Zugang und Anreiz zur Musik das extreme Interesse an den Instrumenten selbst! Dann, damals Blechblasinstrumente (mit denen bin ich inzwischen leider durch) über Holzblasinstrumente vor allem Flöten und Querflöten, waren für mich dann das Edelste und Anspruchsvollste die Streichinstrumente, weswegen ich heute Geigenunterricht nehme. Der begnadete und supertalentierte Schüler bin ich natürlich nicht, das weiß ich, aber, ich möchte dabei sein, ich möchte so ein Instrument haben und spielen, mit dabei ist natürlich der hohe kulturelle Wert und erst recht der tolle Klang. Jedem anderen, der sich für unmusikalisch hält oder sagt dass er das nicht könnte, sage ich dass er es mindestens genauso gut kann wie ich. Er muss es nur wollen. Und auch aus anderen Bereichen der Freizeit weiß ich dass man dem menschlichen Körper Fähigkeiten antrainieren kann, die er von Natur aus nicht kann.

      Musikalisch/Unmusikalisch: Veraltete unnötig klassifizierende Begriffe aus den Schulen, vermutlich um Schüler vorzuklassifizieren oder auszusortieren und viel zu lange Zeit in Gebrauch. (Vermutlich seit dem Barock) Diese Begriffe haben in der heutigen Welt nichts mehr verloren.

      Euer Thomas

    • #21996 Antworten
      Felix Seiffert
      Administrator

      Lieber Thomas,

      vielen herzlichen Dank für diesen Beitrag. Ja, genau so ist es: Entweder hat uns jemand gesagt, dass es nicht geht, oder dass wir zu unbegabt sind, oder wir begreifen tatsächlich noch nicht worauf wir schauen und hören sollen um uns selbst ein Urteil zu bilden.

      Und ja: man hat bei Kindern auf diese Weise enorm viel kaputt gemacht, gerade in den Nachkriegsjahren. Allerdings merke ich auch, dass sich die Sache etwas wandelt. Es spricht sich herum, dass man mit Ermunterung, annehmen von dem was ist, und Freiraum geben für eigene Entdeckerfreude wesentlich mehr vermitteln kann und dass diejenigen die etwas. lernen auch mit mehr Freude wesentlich mehr aufnehmen können.

      einen herzlichen Gruß

      Felix Seiffert

    • #22590 Antworten
      Rachel
      Teilnehmer

      Mein Mann hat als Kind Klavierstunden gehabt, sein Vater wollte, dass er der neue Virtuoso würde. Als er dann beim Vorspielen nur unter „ferner liefen“ spielte, und nicht auch noch am Schluss ein langes Stück bekam, war der Vater enttäuscht und ließ ihn das auch spüren. Kurz danach heiß es dann wohl, die Klavierstunden könne man ja jetzt genauso gut auch lassen. Mein Mann verlor dann auch selbst die Lust und hörte dann auf zu spielen mit dem Stigma, er sei ja unmusikalisch.

      Viele Jahre später lernte ich ihn tatsächlich durch die Musik kennen, wir haben beide im gleichen Club aufgelegt. Er war hier sehr erfolgreich, kannte alle Lieder, Takte, wusste, welches Stück man nach welchem auflegen musste, konnte guten von schlechten Sängern unterscheiden (kann ja leider auch nicht jeder) und kannte sich meiner Meinung nach sehr gut mit Musik aus – nur, dass er eben selbst nicht musizierte. Wir waren in den Jahren nun schon sehr oft auf Rockkonzerten, und fast noch öfter auf Klassikkonzerten, und aufgrund dessen war ich nun sehr erstaunt, dass mein Mann kürzlich sagte, er hätte ja früher auch schon immer lieber Geige als Klavier lernen wollen (aber im Elternhaus stand nun einmal das Klavier herum und keine Geige) und hätte sich das nie getraut, weil er ja so unmusikalisch sei. Er hält sich also immer noch für unmusikalisch, weil ihm das seinerzeit so gesagt wurde (aber nur von seinem Vater, nicht einmal von der Klavierlehrerin!).
      Ich halte ihn absolut nicht für unmusikalisch, aber das Stigma scheint sehr stark zu haften. Ich glaube, er hätte immer noch gerne eine Geige, und ich überlege nun, ob ich ihm eine schenken soll und er einfach auch den Intensivkurs für Geige hier machen sollte. Es sieht und hört ihn ja keiner (nur ich), und wer weiß, eines Tages könnten wir vielleicht sogar zusammen spielen. Und wenn es ihm doch nicht gefällt, kann er ja wieder aufhören, er hat ja nichts dabei verloren.
      Ich finde es so schade, Kinder gleich so abzustempeln (auch in anderen Fächern, wie z.B. Kunst oder Sport), und die glauben dann, sie könnten es einfach nicht und versuchen es gar nicht erst.
      Ebenso schade finde ich andere Dinge, die ich hier so gelesen habe (als Erwachsene dürfe man gar nicht erst mit einem neuen Instrument anfangen, oder auch die Geschichte mit der Linkshänderin, die dann frustriert aufgegeben hat!).

    • #22603 Antworten
      danapopana
      Teilnehmer

      Die Idee, Deinem Mann eine Geige zu schenken, Rachel, finde ich gut. Vielleicht freut er sich dann sogar mehr über die Ermutigung, als über das Instrument. Und bestenfalls (und wahrscheinlich) auch noch über das Instrument. Ja, sehr schöne Idee, finde ich!

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