Stimmen nach Gehör
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Wir leben in einer Zeit, in der es für alles ein Hilfsmittel gibt – gern genommen eine App! Wie war das Leben kompliziert, bevor wir diese vielen Hilfsmittel hatten. Sogar das Stimmen eines Streichinstrumentes geht heute viel einfacher mit dem Stimmgerät oder mit der App auf dem Handy. Stimmen nach Gehör? Warum jetzt darüber ein Blogartikel, hat es sich nicht längst überholt?
Bist Du schon einmal in einem Ensemble gesessen und hast vor der Probe versucht, Dein Instrument zu stimmen? Viel Spaß dabei 😉
Du wirst feststellen, Dein Stimmgerät ist hoffnungslos überfordert. Es “weiß” überhaupt nicht, wo es “hinhören” soll. Der Zeiger springt sinnlos zwischen verschiedenen Tönen herum. Hoffnungslos!
Als Technikfreak wirst Du mir jetzt antworten: “Aber es gibt doch die Kontaktmikrophone, die an den Steg geklemmt werden. Damit reagiert das Stimmgerät nur auf das eigene Instrument. Das funktioniert doch!”
Das mag sein. Trotzdem ist es auch damit schwierig, ein ganzes Ensemble homogen einzustimmen. Zum einen haben die Stimmgeräte eine gewisse Toleranz. Sie zeigen bei minimal höheren oder tieferen Tönen trotzdem ein richtiges Ergebnis an. Zum anderen haben die Instrumente verschiedene Klangfarben, was für das Stimmgerät bzw. die Mitspieler eine klare Hürde darstellt.
Meine kühne These
Um ein Ensemble sauber einzustimmen, gibt es nur ein wirklich probates Mittel. – Deine Ohren!
Die wirst Du dann einsetzen können, wenn Du mit dem Stimmen nach Gehör ein wenig Übung hast. Stimmen nach Gehör ist absolut machbar – auch für Dich. Wollen wir beginnen?
Stimmen nach Gehör - die Voraussetzungen
Damit Du hören kannst, wie eine leere Saite tatsächlich klingt, brauchst Du einen gleichmäßigen Bogenstrich. Bestimmt hast Du schon einmal bemerkt, dass der Ton der leeren Saite sinkt, wenn Du mit dem Bogen stärker auf die Saite beim Streichen drückst.
Und leider, das hast Du bestimmt schon oft bemerkt, ist es gar nicht so leicht, einen Ton in einer Lautstärke und in seiner Klangfarbe durchzuhalten. So kommen wir zu unserer ersten Übung.
Übung 1
Streiche Deine A-Saite, nah am Steg. Mit wenig Druck auf der Saite und so langsam, dass ein gleichmäßiger Ton entsteht.
Dies wird Dir eventuell nicht gleich gelingen. Probiere es auf jeden Fall mehrere Tage. Grundsätzlich ist dies eine sehr gelungene Einspielübung für unser Bogengefühl.
Es könnte leichter werden, wenn Du zunächst im Aufstrich, also von der Spitze an, beginnst.
Übung 2
Jetzt probiere das Gleiche mit zwei Saiten gleichzeitig! Versuche dabei, das Bogengewicht auf beiden Saiten gleich zu verteilen, damit beide gleichmäßig klingen. Merkst Du es? Jetzt legst Du deutlich eins drauf. Dies musst Du richtig üben!
Aber damit erfüllst Du die Voraussetzung, dass Du beim Stimmen nach Gehör auch tatsächlich hörst, wie die Saiten klingen, frei und ohne Druck in ihrem natürlichen Ton.
Stimmen nach Gehör - die Quinte
Was Du gerade hörst, wenn Du Geige, Bratsche oder Cello spielst, ist die Quinte. Beim Kontrabass ist es anders, der ist in Quarten gestimmt. Aber darüber an anderer Stelle.
Die Quinte zählt zu den reinen Intervallen. Die Töne verschmelzen regelrecht ineinander, wenn sie sauber ist. Dies liegt an ihrem sehr einfachen Schwingungsverhältnis.
Für Physik-Junkies: Die Quinte hat ein Schwingungsverhältnis von genau 3:2. Dieses sehr einfache Verhältnis wird vom Ohr als sehr ruhig und angenehm empfunden. Wir können sogar kleinste Abweichungen sofort als Störung wahrnehmen, aber davon gleich mehr.
Am besten hörst Du es Dir gleich selbst im Video an, wo ich Dir das Stimmen nach Gehör vormache:
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Mehr InformationenHast Du es gehört?
Mit diesen “Störungen” den sogenannten Interferenzen oder “Schwebungen” finden wir heraus, ob eine Quinte sauber ist oder nicht.
Im Video hast Du auch gehört, dass der Schwebeton umso schneller schwebt, je weiter die Stimmtöne von der Quinte entfernt liegen. Und die Schwebung wird langsamer, je besser die Töne zueinander passen – bis der Schwebeton schließlich ohne Bewegung im Raum steht.
Ich staune selbst immer wieder, wie genau wir mit den Ohren dieses wahrnehmen können. Aber nun wenden wir das Ganze an:
Stimmen nach Gehör - praktisch
Wenn wir unser Instrument stimmen, werden wir zuerst die Quinte anstreichen und dabei feststellen, ob sie stimmt oder nicht. Nach einigen Versuchen wirst Du bestimmt feststellen, dass Du Dich erst wohl fühlst, wenn die Quinte wirklich stimmt.
Was Du weniger leicht heraushörst: Ist die zu stimmende Saite zu hoch oder zu tief?
Hier empfehle ich Dir ein sehr einfaches Mittel: Spiele die Saiten hintereinander. Höre genau hin. Du wirst es hören, ob die zu stimmende Saite zu hoch oder zu tief ist. Gedanklich vergleichst Du das Gehörte mit Deiner inneren Vorstellung einer Quinte.
Innere Vorstellung? Ganz banal: Du kennst bestimmt das Lied “ABC, die Katze lief im Schnee”. Zwischen dem ersten und dem dritten Ton liegt die Quinte. Sing es Dir innerlich vor. Und schon hast Du die kognitive Vorstellung der Quinte.
Hörst Du jetzt, ob die zu stimmende Saite zu hoch oder zu tief ist?
Probiere aus, sie hochzustimmen. Wenn sie zu tief liegt und solltest Du mit Deiner Vermutung richtig liegen, wird es besser. Wenn nicht, dann stimme die Saite wieder hinunter.
Es liegt nun an Dir, das genau herauszubekommen. Gib nicht nach, bis Du auch auf Deinem Instrument hörst, dass es richtig gut klingt. Ich bin mir sicher, dass Du das schaffst.
Über den haben wir noch gar nicht gesprochen. Du musst zuerst eine erste Saite einstimmen, von der aus die weiteren Saiten Bezug nehmen. Dies ist übrigens im allgemeinen Gebrauch das A. (wenn Du einem Orchester beim Stimmen zuhörst, wird immer zunächst die Oboe das A angeben)
Nimm dafür ruhig Dein Stimmgerät. Du kannst es Dir auch von einem anderen Instrument holen. Spielst Du mit Klavier zusammen, holst Du es Dir von dort. Oder Du nimmst eine Stimmgabel, die wir früher in Ermangelung eines Stimmgerätes hatten.
Möchtest Du weiter lesen, dann empfehle ich Dir den Artikel, in dem es um die beste Möglichkeit geht, wie Du Dir gerade am Anfang Überblick über das Griffbrett verschaffst:
Fazit
Stimmen nach Gehör ist im Grunde unumgänglich, sobald man zusammen mit anderen musiziert. Man muss es aber auch üben. Dein Ohr muss lernen, wo es “hinhören” muss. Und Du musst den Umgang mit Deinem Instrument, mit dem Streichen und dem Einstellen der Stimmwirbel lernen.
Machbar ist es absolut. Mit etwas Übung gelingt es Dir. Wie haben es nur die Musiker vor den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts geschafft, als das Stimmgerät noch nicht erfunden war? Das muss doch gehen, oder? Und Du schaffst das auch!
musikalische Grüße,
Felix Seiffert
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