Antwort auf: Linkshänder-Streicher

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#20228
Astrid
Teilnehmer

Hallo Astrid,

ich heiße auch Astrid 🙂 Ich bin ebenfalls Linkshänderin und lerne Geige von Anfang an mit links. Das hat bei mir folgenden Hintergrund. Ich wurde noch in den 80er Jahren auf rechts „umgeschult“, will heißen gezwungen, mit rechts zu schreiben. Ich habe das meinen Eltern und Lehrern lange übel genommen. Wie man heute weiß, kann die „Umschulung“ schwerwiegende Folgen haben. Für Interessierte sind da die Bücher von Johanna Barbara Sattler zu empfehlen. Ich selbst bin mit dem Schreiben eigentlich noch ganz ok zurechtgekommen, konnte aber zB nie richtig zeichnen, habe Kunst gehasst und wusste auch im Sport immer nicht, ob ich jetzt mit der linken oder rechten Hand werfen soll.

Als es dann zum Thema Geige ging, hat mir „natürlich“ jeder geraten, mit rechts zu spielen. Immer mit dem Standardargument „Du kannst sonst nicht im Orchester spielen!“. Ich reagiere aufgrund meiner Geschichte extrem allergisch auf solche Umerziehungsversuche und für mich war eigentlich gedanklich weitgehend klar, ich werde – wenn überhaupt – wohl mit links spielen. Ich habe dann mal testweise eine Rechtshändergeige angelegt und bereits das Halten fühlte sich so seltsam und verdreht an, dass ich mir dachte, das kann ich mir nicht vorstellen, wie das gehen soll. „Sollen sie sich ihr Orchester halt sonstwohin….“, dachte ich mir.

Also lerne ich seit einem mit links und es läuft gut. Meine Lehrerin, bei der ich angefangen habe und bei dir ich aus anderen Gründen nur ein Dreivierteljahr war, hat mich problemlos damit unterrichtet. Wie ich mir allerdings auch sagen lassen musste, wäre das wohl auch schon ein Problem, einen Lehrer zu finden, der linkshändige Schüler überhaupt „nimmt“.

Einmal nahm sie mich mit auf ein Konzert, wo auch ein paar Kolleginnen von ihr waren, denen sie mich vorstellen wollte. „Erzähl Ihnen mal, wie du spielst“, sagte sie mit ganz aufgeregtem Blick. Ich dachte erst, hä, was meint sie, wie spiele ich denn? Und dann kam ich drauf, sie meint mit links. Als ich dies dann brav berichtete, war großes Staunen allerseits und ich wurde angesehen wie ein exotisches Tier im Zoo. „Ja, aber da kann sie dann ja nie im Orchester spielen!“ kam natürlich gleich als Antwort. „Ja, dann spielt sie halt solo“, meinte meine Lehrerin. Und mir geht jedes Mal der Puls hoch. Wie kann es eigentlich sein, dass es heutzutage noch möglich ist, jemanden wegen einer körperlichen Gegebenheit so offen und schamlos zu diskriminieren und sich dabei noch im Recht zu fühlen? Es wäre kein Platz im Orchestergraben, ist dann immer die Standardantwort. Ach so, und andere Instrumente brauchen drei mal so viel Platz. Es wird ja wohl möglich sein, sich ein Stück weiter weg zu setzen, sodass man sich nicht in die Quere kommt. Oder andere Wege zu finden. Aber so ist es natürlich am bequemsten.

Und das andere Argument, andere Schüler hätten es bisher ja auch mit rechts gelernt. Ja, das konnte man über die umgeschulten Linkshänder in der Schule auch sagen. Wer weiß, wie schwer es wirklich für die Geiger gewesen ist. Und wenn das alles kein Problem ist, dann kann ja mal ein Rechtshänder voran gehen und Geige mit links lernen. Das will ich dann mal sehen, ob er hinterher immer noch so spricht.

So, jetzt hab ich mich wieder in Rage geschrieben 🙂 Aber das Thema regt mich echt auf. Ich hoffe, dass wir im Zuge von Toleranz und Vielfalt, die ja im Moment überall großgeschrieben werden, hier vielleicht auch mal zu Toleranz und Vielfalt kommt. Linkshänder-Gitarren sind ja zB kein Problem mehr.

VG
Astrid