Workshop für Teilnehmer mehrerer Streichinstrumente, die auch noch auf verschiedenem Stand sind – geht das?

Haben Sie auch diese Vorstellungen im Kopf? Zuerst lerne ich mein Instrument, und dann wenn ich es kann, dann spiele ich in einem Ensemble mit, oder mache Kammermusik.

Erst die Arbeit dann das Vergnügen.

Diese oder ähnliche Gedanken wurden mir in den Kopf gesetzt, als ich anfing, im Alter von 9 Jahren Geige zu lernen. Übungen machen, erste kleine Stücke spielen, die Griffarten auf der Geige lernen Tonleitern und so weiter.
Dies alles immer im Hinblick darauf, dass es irgendwann möglich sein wird, zusammen mit anderen zu musizieren.

Dass es dann relativ bald möglich war (nach einem guten Jahr), tatsächlich in einem Schulorchester meine ersten Erfahrungen des gemeinschaftlichen Musizierens zu machen, das steht in einem anderen Kapitel. Immerhin wirft es aber die Frage auf: Wann ist es eigentlich erreicht, dieses „Können“ das man braucht, um die Früchte der schweren Arbeit „Üben“ zu ernten?

Die zweite Frage, die sich mir hier stellt: Warum ist es eigentlich so, dass das Lernen des Instrumentes „mühsam“ „anstrengend“ „uninteressant“, ist, oder eine Strecke die man überwinden muss, bis man schließlich in den „Genuss des Musizierens“ kommt?

Ist es wirklich schmerzhaft, zuerst seine Finger in Form bringen zu müssen und am Anfang die Töne eben noch nicht so sauber zu treffen, wie man sich das zuletzt wünschen mag? Macht es Mühe, zuerst sein Gefühl im Arm auszubilden, bis man im Stande ist, mit dem Bogen einen feinfühlig gestalteten Ton hin zu bekommen? Tut es wirklich weh, unsauber gegriffene Töne zu hören?

Ich kann Ihnen versichern: es tut definitiv nicht weh. Wenn es weh täte und man daran irgendwie Schaden nehmen würde, wäre ich jetzt nach etwa 25 Jahren Unterrichtstätigkeit wahrscheinlich am Ende und müsste mich in Frührente schicken lassen.
Nein, das ist keineswegs der Fall, ich erfreue mich bester Gesundheit. Auch die Tatsache, dass Schüler nach richtigen Tönen suchen, oder eventuell sogar auf einem Stand sind, wo sie erst einmal lernen müssen, zu merken, wenn etwas nicht stimmt, lässt mich keineswegs leiden. Wenn man eine Sache (und sei es eine klangliche) beim Hören analysiert, dann ist man nicht am Leiden oder dergleichen. Man hört einfach hin.

Und ich denke, so geht es auch, wenn mehrere Menschen zusammen an ihrem eigenen Fortschritt am Instrument arbeiten.

Es ist ja schon sehr bezeichnend, dass in den 70er Jahren Bewegung in das Unterrichtsgeschehen kam. Der Violinprofessor Paul Rolland erarbeitete damals ein Konzept mit dem man Kinder gleichzeitig an verschiedenen Instrumenten unterrichten kann. Anfangsunterricht gleichzeitig bei Kindern, die sogar verschiedene Instrumente lernen. So wurde der Grundstein gelegt, für das, was man heutzutage als die „Rolland Methode“ bezeichnet. Das „Klassenmusizieren auf Streichinstrumenten“ war geboren.

Die Streichinstrumente haben bei aller Verschiedenheit, gewisse Parallelen an denen man ansetzen kann. sie haben vier Saiten, die nach einem bestimmten System gegriffen werden, das zwar auf den Instrumenten größenbedingt differiert, aber nach dem gleichen Grundprinzip läuft. sie haben alle einen Bogen, der nach bestimmten physikalischen Grundprinzipien die Saite anstreicht. Auch hier gibt es größenbedingt Unterschiede, aber die Sache kann gleichzeitig betrieben werden.

Und was hat das jetzt mit BogenBalance zu tun?

Seit einigen Jahren gibt es unter dem Namen BogenBalance Workshops für Erwachsene, die nach eben jenem Konzept Lernen mit der Freude am gemeinsamen Musizieren verbinden wollen.
Die Sache beginnt mit einem Workshop für Anfänger, bei dem man mit wirklich keiner Vorbildung innerhalb eines Wochenendes dahin gelangen kann, die Töne der Tonart D-Dur zu greifen, auf dem Instrument zu streichen und tatsächlich ein vierstimmiges Stück hin zu bekommen.
Daran schließt sich eine Phase eigenen Übens an, das durch eine Aufgabenbetreuung anhand eines Arbeitsheftes flankiert wird.
Dies führt dann zu weiteren Workshops, die etwa im Abstand von 4 Monaten stattfinden, und so kommt man als Spieler doch ein gutes Stück weit. Durchaus erreichbares Fernziel ist es dabei, so weit zu kommen, dass man nach ein paar Jahren an einem Laienorchester mitwirken kann.

So weit, so gut.

Am 18. und 19, Januar dem Termin des letzten BogenBalance Workshops passierte etwas Besonderes:
Es wurde das Experiment unternommen, Teilnehmer in einem Workshop zu vereinen, die bisher verschieden weit auf ihrem Instrument gekommen waren.
Eine ganze Reihe Teilnehmer, die schon frühere Workshops besucht hatten bezogen nun Teilnehmer mit ein, die zum ersten Mal dabei waren und auch auf ihrem Instrument entweder so weit waren, dass die Erste Lage noch nicht einmal vollständig erschlossen war, oder auch andere, die darüber schon weit hinaus waren.

Ich kann mich noch gut an die Aussagen meiner Mutter erinnern, die als Kriegskind groß geworden war und zeitweise in einer Schule unterrichtet wurde, in der die Klassen 1 bis 4 gleichzeitig in einem Zimmer stattfanden.
Sie wurde später selbst Grundschullehrerin und berichtete immer wieder begeistert davon.
Es gab im Prinzip für alle Kinder stets die Gelegenheit, über den eigenen Tellerrand zu blicken und etwas von höheren Klassen mit zu bekommen. Auf der anderen Seite gab es die Möglichkeit, Dinge, die sie beim ersten Mal nicht so richtig verstanden hatten noch einmal zu hören, wenn die Klasse unter ihnen den Stoff durchnahm. Die Sache gestaltete sich so äußerst Fruchtbar für alle, frei nach dem Motto, dass jeder den Stoff dann und in der Form mitbekommen kann, wenn er gerade offen dafür ist und wirklich in der Lage, ihn aufzunehmen.

Aber kann denn so etwas in einem Streicherworkshop funktionieren?

Stellen Sie sich als erstes einmal Folgendes vor: Im Grunde arbeitet man im Laufe der Jahre immer wieder an den gleichen Prinzipien und Gegebenheiten, die ein Streichinstrument nun einmal mit bringt.
Ein Beispiel: Auf jedem Streichinstrument muss man das „gerade Streichen“ lernen. In etwas erweiterter Form würde das dann „Umgang mit der Kontaktstelle“ heißen. Und Sie werden lachen: Dieses Thema wird einen Spieler oder einen Schüler keineswegs nur einmal beschäftigen. Über die Jahre wird er sich immer wieder mit dem Thema beschäftigen müssen. Das liegt in der Natur der Sache. Es geht hier nicht um ein intellektuelles Verstehen, sondern um ein sehr feines „sich in die Sache hinein spüren“ können.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie mir mein Professor in der Stunde vor meiner Examensprüfung erklärt hat, wie man in einer ganz bestimmten Passage gerade streicht.
Sie sehen. Die gleichen Themen tauchen immer wieder auf, nur verfeinert sich mit der Zeit der Umgang mit ihnen immer mehr.
Macht es daher nicht Sinn, sich an verschiedenen Stationen seiner Instrumentalkarriere mit einer bestimmten Materie zu beschäftigen? Es macht!

Auf der anderen Seite laufen dann Übungen, bei denen ein absoluter Neuling nebenbei schon einmal am Rande mitbekommt wie Lagenwechsel funktionieren. Das ist auch für jemanden der momentan noch in der Situation ist, seine erste Lage wirklich zu finden, durchaus förderlich. Sich schon einmal einen Überblick verschaffen, obwohl man an anderer Stelle erst noch zu tun hat, ist wohl so etwas wie das Lesen einer Inhaltsangabe während man sich Stück für Stück durch ein Buch durcharbeitet.

Der zweite eher praktische Aspekt:

In jedem Stück, das in einem Workshop gespielt werden kann, gibt es Stimmen mit durchaus verschiedenen Anforderungen an den Spieler. Und wenn man nun jemandem genau die Stimme gibt, die er bewältigen kann, dann kann er sich in der Gruppe einbringen, egal wie weit die anderen Spieler auch sein mögen. Im Idealfall soll die Stimme, die ein Spieler bekommt, bewältigbar, aber doch auch eine Herausforderung sein. Und so ergibt es sich ganz natürlich, dass sich das Ensemble aus Spielern bildet, die eher die führenden Stimmen besetzen, während andere sich eher in die begleitende Funktion einreihen möchten.

Und so ergab es sich dass an diesem Workshop jeder Teilnehmer auf seine Weise bereichert nach Hause ging. Zum einen hatte man viel Freude am gemeinsamen Musizieren erlebt, und zum Anderen vielfältige Anregungen erhalten sowohl durch das Unterrichtsgeschehen als auch durch das Wechselspiel der Teilnehmer untereinander.

Im kostenlosen Mitgliederbereich finden Sie die aktuellen Workshops. Über die BogenBalance Startseite können Sie sich jederzeit dazu registrieren.

Mit freundlichen Grüßen

Felix Seiffert

 

2 Kommentare

  1. Christa-Maria

    Ein wunderbares Beispiel für das Musizieren von Streichern (hier: Cellisten) unterschiedlichster Niveaus sind die Konzerte des Celloorchesters Rutesheim – alle auf youtube zu sehen!

    • Felix Seiffert

      Ja, das sind wirkliche Profis am Werk, ein wirklich bewundernswertes Projekt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert