Warum Schnelligkeit üben nicht langsam geht

Hast Du schon einmal ein Stück geübt und bist dabei nicht in die richtige Schnelligkeit gekommen? Du übst und übst, und auch nach einiger Zeit, wenn das Stück schon ziemlich gut läuft, merkst Du immer noch, es fühlt sich an, wie „Fahren mit angezogener Handbremse“. Deine Bewegungen laufen nicht richtig frei. Als hättest du zähen Kaugummi an den Fingern. Also: Schnelligkeit üben! Andererseits hörst Du von großen Musikern diese Aussage: „Du musst die Sache langsam absolut perfekt beherrschen; nur dann kann die Geschwindigkeit kommen“.

In dieser Aussage steckt sehr viel Wahrheit. Trotzdem hilft sie Dir nur bedingt weiter.

Warum? Das will ich Dir erläutern:

Beim Üben trainieren wir Bewegungsabläufe ein. Dinge, die uns zunächst schwerfallen, werden langsam, kontrolliert eintrainiert und gelangen so in unser Gedächtnis. Dadurch wird es uns möglich, die zunächst schwierigen Abläufe unbewusst abzurufen. Wir haben sie als einstudierte Fähigkeiten in der „Hinterhand“.
Wenn wir beim Musizieren an die erlernte Stelle kommen, laufen die Finger wie von Geisterhand geführt. Das ist Üben. Damit bewahrheitet sich der oben genannte Satz: „Du musst die Einheit langsam und absolut perfekt können; nur dann, kann es schnell gelingen“.

So weit so gut: Ich kann diese Aussage voll unterstreichen.

Aber:

Sehr oft erlebe ich bei Schülern, dass sie ein Musikstück tatsächlich mit großer Hingabe und langsam einüben. Sie beherrschen das Stück in dieser Geschwindigkeit wirklich. Wenn sie danach Schnelligkeit üben und probieren, die verschiedenen kniffligen Stellen schnell zu spielen, klappt es trotzdem nicht.

Wie kann das sein?

Sehen wir uns einmal an, worauf beim langsamen Üben unsere Aufmerksamkeit gerichtet ist:
Stell Dir vor, Du übst einen Lauf mit Sechzehnteln. Wenn Du in langsamen Tempo übst, kannst Du mit Deiner Aufmerksamkeit jeden einzelnen Ton mitverfolgen. Du kennst jeden Finger, der an der und der Stelle auf das Griffbrett fällt. Du weißt, wo der Bogen die Saiten wechselt, und so weiter. So spielst Du, und kannst beim Spielen jeden Schritt mitvollziehen.

Nun versuche es einmal schnell!

Ab einer bestimmten Geschwindigkeit wirst Du unweigerlich an Deine Grenzen geraten. Entweder hängst Du an einem gewissen Tempo fest, oder Du stolperst im Lauf.

Aber wie kommt das?

Mit unserer klaren Aufmerksamkeit können wir schnelle Bewegungen nicht nachverfolgen. Der bewusste Teil des Gehirns ist nicht so fix. Er kommt ab einer gewissen Geschwindigkeit nicht mehr mit, wenn wir Schnelligkeit üben.

So ungefähr, wie wenn Du schnell eine große Freitreppe hinunterläufst. Du kennst den Bewegungsablauf. Deine Füße laufen von allein. Aber jetzt versuche, im Eilen mit Deiner Aufmerksamkeit zu erkunden, welches Bein als nächstes drankommt. Das linke oder das rechte Bein? Knoten vorprogrammiert!

Nein, versuch es lieber nicht!

Du kennst das Resultat. Du wirst unweigerlich stolpern. Das kann böse enden.

Noch einmal: Ab einer bestimmten Geschwindigkeit, kommt Dein bewusstes Gehirn und Deine Aufmerksamkeit nicht mehr mit Deinen Bewegungen mit.

Wenn Du dennoch Schnelligkeit üben willst, muss die Aufmerksamkeit auf etwas Anderes gerichtet werden als auf jeden einzelnen Bewegungsschritt. Das können übergeordnete Bewegungen sein, oder Zieltöne, die man ansteuert.

Im Klartext: So funktioniert Schnelligkeit üben

Es geht darum, auf größere Zusammenhänge in den Melodien aufmerksam zu werden, zum Beispiel auf Bewegungsabläufe, die die einzelnen Töne miteinander verbinden.

Sie können zum Beispiel so aussehen:

Schnelligkeit üben 1

Oder so: Schnelligkeit üben 2

Oder so: Schnelligkeit üben 3

Wir betrachten nicht mehr die einzelnen Töne, sondern allenfalls den Start- und den Zielton einer Passage, sowie den Bewegungsablauf, der die Klänge verbindet. Das ist etwas, dem unser Gehirn auch in der Schnelligkeit folgen kann.

Probiere es doch einmal aus. Ich zeige es Dir im Video:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Schnelligkeit üben, nimm z.B. diese Methode:

Greife Dir zunächst kleine Abschnitte Deines Laufs heraus. Nimm 4 Töne und den ersten Ton der nächsten Figur, (sonst übst Du Lücken zwischen den einzelnen Abschnitten ein). Zunächst spielst Du die Stelle langsam, damit Du die Töne wirklich kennst.

Dann sieh Dir den ersten und den letzten Ton und die Bewegung dazwischen an. Spiele nun die Stelle schnell, ohne noch einmal in die Noten zu sehen. Probiere es ein paarmal. Es wird mit der Zeit gelingen.

Jetzt gehst Du einen Schritt weiter. Du fängst in der zweiten Gruppe ebenfalls beim ersten Ton an, und spielst dann bis zum ersten Ton der dritten Gruppe.

So gehst Du durch die ganze Passage durch.

Danach kannst Du Deiner Fantasie freien Lauf lassen. Probiere zum Beispiel einmal vom zweiten Ton zum zweiten Ton. Hierbei empfehle ich Dir allerdings, zunächst zu sehen, mit welchem Strich die Passage beginnt. Wenn Du im richtigen Strich übst, sparst Du Dir eine Menge Arbeit.

Oder Du fasst größere Gruppen zusammen und spielst zum Beispiel 8 plus 1 Töne.

Und jetzt im Zusammenhang.

Probiere diese Vorgehensweise einmal aus!

Fazit:

Das Gehirn ist für bewusstes schnelles Spielen nicht ausgelegt. Wenn Du den Anspruch hast, alles was Du tust, kontrollieren zu wollen, dann kommt Deine Bewegung aus einem langsameren „Kontrollmodus“ nicht heraus. Das Ergebnis bleibt stets zu langsam.

Es ist nötig, Dir eine Methode zuzulegen, die Deine Aufmerksamkeit auf größere Bewegungsabläufe richtet. Jetzt kannst Du auch bei schnellen und komplizierteren Vorgängen den Kopf oben behalten und die Bewegung einfach laufen lassen.

Ich wünsche Dir viele gute Erfahrungen mit dieser Methode.

Klappt es bei Dir? Oder funktioniert eine andere Methode besser? Lass hören (lesen), wie Du es machst. Schreib einen Kommentar!

Einen herzlichen Gruß

Felix Seiffert

p.S.: Ein Blogartikel wie dieser kann Dir Denkansätze zur Anregung liefern, Dich aber niemals genau an dem Punkt weiterbringen, an dem Du gerade stehst. Dazu würde ich Dich gern kennenlernen und hören, mit Augen und Ohr, was Du mir vorspielst. Wir können sehen, ob und wie ich Dir, sei es mit einem Onlinekurs, oder mit direktem Coaching helfen kann. Wenn Du Dich auf der Mitgliederseite von BogenBalance registrierst, findest Du die Möglichkeit, Dich zu einem kostenlosen Beratungsgespräch anzumelden. Dort erarbeiten wir, was Dich bestmöglich voranbringt.

8 Kommentare

  1. Hallo Felix,

    meiner Meinung nach brauchst du für Schnelligkeit die Sicherheit in der Basis. Erst wenn die Abläufe einigermaßen verinnerlicht wurden, kann ein Musikstück in größere Komponenten „aufgeteilt“ werden. Dann ist auch das Verständnis für die Zusammenhänge gegeben. Daher ist Schnelligkeit eher etwas für Fortgeschrittene, aber dann mit deinen prima Tipps sehr gut erlernbar.

    Viele Grüße
    Christa

    • Felix Seiffert

      Hallo Christa,

      Da gebe ich Dir recht. Du brauchst eine Basis, zum Beispiel eine gute Stellung der Hand und etwas Training für die Finger. Die Übemethode mit dem schnelleren Spiel kannst Du aber auch schon anwenden wenn Du noch recht einfache Stücke spielst. Auch die haben ja ihr Tempo. Und auch bei ihnen ist es eventuell schon hinderlich, wenn Du im Lesen der Noten „buchstabierst“. Von daher würde ich ruhig auch auf einem einfachen Niveau mit dem schnellen Spielen anfangen.

      herzliche Grüße
      Felix Seiffert

  2. Sarah Agostino

    Hallo Felix,

    ein sehr hilfreicher Beitrag, vielen Dank. Ich werde diese Methode ausprobieren.

    Bisher kannte ich die Methode, bei schnellen Läufen immer nur zwei Noten sehr schnell hintereinander zu spielen und dazwischen eine kleine Pause zu machen.
    Das geht so:

    Zuerst die 1.+2. Note, Pause, 3.+4. Note, Pause, usw.

    Wenn das sitzt, dann kehrt man es um:
    1. Note, Pause, 2.+3. Note, Pause, 4.+.5. Note, Pause, usw.

    Auf diese Weise übt man jede Note in Kombination mit der vorhergehenden und nachfolgenden Note. Diese Methode wirkt wahre Wunder. Es macht auch Spaß, hört sich lustig an. Ich meine, das habe ich auch von dir hier aus deinen Videos gelernt.

    Was auch hilft, ist eine Passage einige Male rückwärts zu spielen. Langsam natürlich. Das hat die liebe Annemarie uns mal in einem Workshop beigebracht 🙂

    Liebe Grüße
    Sarah

    • Felix Seiffert

      Hallo Sarah,

      Da pflichte ich Dir bei. Das ist ebenfalls eine gute Methode. Bei dieser Methode liegt der Fokus darauf, einerseits mit den Fingern schnell zu sein, andererseits aber bei dem Ton dan dem man stehen bleibt, Kontrolle auszuüben und zu sehen, ob man wirklich sauber ankommt. Du kannst diese methode auch ausweiten indem Du nur bei einem von 4 Tönen stoppst. Und dann kannst Du bei Vierergruppen, den Ton, an dem die Sache stoppt verschieben, sodass es einmal der erste, einmal der zweite ist und so weiter.
      Wie gesagt hier geht es darum, Schnelligkeit in den fingern zu üben und ab und zu zu kontrollieren lb auch sauber gegriffen wird.

      Bei der gezeigten Methode im Blog geht es eher darum, den Blick zu weiten und weg zu kommen vom kontrollieren wollen jedes einzelnen Tons.

      Viel Freude weiterhin beim Üben

      Felix

  3. Danke, lieber Felix,
    genial, Deine Hinweise zum Schnellspielen! Sehr hilfreich für mich!
    Ich war lange Zeit im Kontrollmodus gefangen! Ist gar nicht so leicht, da wieder rauszukommen. Aber das wird jetzt möglich!…. Ein neuer Meilenstein ist erreicht! 🙂

    Danke auch für Modul 4, Lektion 9 im Cello-Intensiv-Kurs…. so wunderbar erklärt!

    Herzliche Grüße, Annette Hackenberg

    • Felix Seiffert

      Liebe Annette,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Um der Sache noch eines drauf zu setzen. Ja, man sollte aus dem Kontrollmodus heraus kommen. Die dargestellte Methode ist das, was im Bewusstsein beim Spielen passiert wenn es flüssig werden soll. Übrigens greift das gleiche Prinzip auch beim Vorlesen. Wenn Du allerdings der Sache den Turbo geben willst, dann musst Du einfach mit anderen Leuten zusammen musizieren. Am besten im Orchester, wo Du einfach „durch musst“.

      einen herzlichen Gruß,

      Felix

  4. Sabine Buse

    Lieber Felix,
    danke für diesen tollen Tip. Dieser Artikel kam für mich passend zur rechten Zeit, denn genau dieses Problem habe ich. Viele Stücke spiele ich ganz passabel, aber es scheitert immer an den schnellen Läufen. Ich werde Deine Tips sofort ausprobieren.
    LG Sabine

    • Felix Seiffert

      Liebe Sabine,

      mach das mal. Probiere es an den Stellen aus, die nicht richtig laufen wollen. Wenn das funktioniert, nimm Dir aber auch bitte vor, das ganze Stück in einem Tempo (eben dem, das an den schwierigsten Stellen funktioniert) zu spielen.

      viel Erfolg und vor allem viel Spaß dabei

      Felix

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert