Die ausbalancierte Bogenführung für Geiger und Bratscher

Haben Sie schon einmal eine Geige in den Händen gehalten, und versucht darauf zu streichen? Oder haben Sie es mit einer Bratsche versucht?

Dann haben Sie bestimmt schon einmal erlebt, wie es sich anfühlt, wenn Sie mit dem Bogen in der oberen Hälfte streichen, oder an der Spitze.

Gehören Sie zu denen, die sich in diesem Bereich beim Streichen nicht wohl fühlen? Neigen Sie dazu, in Ihrem Arm zu verkrampfen, wenn Sie in der oberen Hälfte streichen? Oder haben Sie das Gefühl, den Ton nicht richtig kontrollieren zu können, wenn der Bogen an der Spitze steht?

All dies sind Symptome einer Problematik, die meines Erachtens unter das Thema: „Wie balanciere ich meinen rechten Arm und meinen Bogen richtig auf dem Instrument aus?“ fallen.

Gehen wir einmal von zwei Grundforderungen aus, ohne die ein schöner und gefühlvoll gestalteter Ton auf Ihrem Streichinstrument gar nicht möglich ist.

Der Bogen braucht ein gewisses Gewicht auf der Saite, um sie wirklich in Schwingung bringen zu können.
Dieses Andruckgewicht möchten Sie beim Gestalten des Tons spüren. Es reicht nicht aus, den Ton, den Sie produzieren; zu hören. Nein, Ihr Tastsinn, Ihr Bewegungssinn sind gefragt, wenn Sie den Ton Ihres Instruments buchstäblich „in die Hand“ nehmen wollen.

Als erstes werden wir uns nun mit der Frage auseinander setzen müssen, wie man den Bogen in der Hand hält, um gefühlvoll einen Ton anzustreichen.
Können Sie sich vorstellen, dass das ebenso feinfühlig geschieht, wie wenn Sie mit einem Pinsel auf einer Leinwand malen? Sie werden ihn bestenfalls mit einer beweglichen Hand greifen, und Sie werden nicht nur sehen, sondern auch spüren, wie sich seine Haare zu einem breiteren oder einem schmaleren Strich formen, je nachdem, wie Sie mit dem Pinsel umgehen.

So ähnlich ist es, wenn Sie das Anstreichen des Tons mit dem Bogen wirklich spüren. Das können Sie aber erst, wenn Sie den Bogen so leicht in die Hand nehmen, dass Sie nicht mehr den Druck Ihrer Finger gegeneinander, sondern die Stange selbst und insbesondere den Kontakt des Bogens mit der Saite spüren.

Wenn Sie nun den Bogen so leicht in der Hand haben, wird es Ihnen nicht schwer fallen den Bogen in der Nähe des Frosches auf die Saiten Ihres Instruments zu setzen.

Sie setzen den Bogen auf und das natürliche Gewicht Ihres Arms sorgt für den genügenden Andruck des Bogens auf der Saite. Achten sie einmal darauf, dass Sie beim Aufsetzen des Bogens tatsächlich Ihre Schulter und Ihren Oberarm entspannen. Nur allzu leicht behält man nämlich die Spannung im Arm, die es braucht um ihn selbst und den Bogen in der Luft zu tragen. Lassen Sie also Ihren Arm los und geben Sie das Gewicht auf den Bogen.

Was Sie nun an Gewicht auf den Bogen abladen ist wahrscheinlich für eine gute Tonansprache zu viel. Entlasten Sie daher nachträglich den Bogen durch einen tiefer hängenden Ellbogen. Probieren Sie es einmal aus:

Halten Sie Ihren Ellbogen tief, und das Andruckgewicht des Bogens auf der Saite nimmt ab.
Heben Sie den Ellbogen an, und das Andruckgewicht verstärkt sich.

Diese Gegebenheit wenden wir nun an, wenn wir mit dem Bogen in Richtung Spitze streichen. Das Anheben des Ellbogens ist nämlich nicht nur dazu geeignet, den Bogendruck zu verstärken. Man kann mit dem Ellbogen auch den Punkt verlagern auf dem das Gewicht wirkt.

Streiche ich nun in Richtung Spitze, entfernt sich der Punkt an dem der Bogen auf der Saite liegt von meiner Hand. Mein Armgewicht kann also nicht mehr direkt auf die Saite wirken. Es braucht einen Mechanismus zur Verlagerung oder Übertragung der Gewichtskräfte.

Und diesen Mechanismus haben wir zum Glück bereits in unseren Arm bzw. unsere Hand eingebaut. Er funktioniert ganz einfach aufgrund der Tatsache, dass der Zeigefinger und der Daumen beim Bogengriff nicht an der gleichen Stelle der Bogenstange stehen. Da der Zeigefinger weiter in Richtung Mitte des Bogens auf der Stange steht, können zwischen Daumen und ihm Hebelkräfte wirken. Und diese Hebelkräfte bewirken es, dass das Gewicht des Arms auf eine beliebige Stelle er Bogenstange verlagert werden kann.

Kurz gesagt: heben Sie den Ellbogen können Sie das Gewicht hin zur Spitze des Bogens verlagern. Senken Sie hingegen den Ellbogen, verlagert sich der Punkt auf dem der Bogen im Gleichgewicht auf der Saite liegt, mehr zum Frosch zurück.

Am besten Sie sehen sich nun im Video einmal an, was das für praktische Auswirkungen auf unseren Bogenstrich hat. Passen Sie dabei einmal genau auf, was für angenehme Bewegungen dadurch entstehen. Der Bogenstrich besteht aus einem leichten Spannungsaufbau im Abstrich und einer anschließenden Entlastung des Arms im folgenden Aufstrich.

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Nun möchte ich Sie ganz einfach ermuntern, an Ihrem Instrument ein wenig zu experimentieren. Probieren Sie es einfach aus, aber bitte seien Sie nicht enttäuscht, wenn es nicht gleich in vollkommener Leichtigkeit funktioniert.

Besonders wir abendländische Menschen neigen ja dazu, das ganze Leben und auch unseren Körper höchst intellektuell zu betrachten. Und so haben viele von uns nicht gerade ein sehr gut ausgebildetes Körpergefühl. Oft spüren wir unsere Gliedmaßen erst dann wirklich, wenn sie an irgend einer Stelle weh tun.

Was ich damit sagen will? Nun ich selbst habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich in der Lage war, mit meinem Bewegungssinn und meinem Tastsinn wirklich zu erspüren, wie ich einen Ton gestalte. Das musst sich erst durch manche Übungen aufbauen.

Und diesen Umstand darf man nicht außer Acht lassen. Es kann also eine Weile dauern, aber ich kann Ihnen sagen: es lohnt sich auf jeden Fall, ganz egal wie weit Sie damit kommen.

Jeder Schritt in Richtung Leichtigkeit in meinen Bewegungen oder jetzt speziell auch in Richtung leichtem Bogenstrich wird als absolut angenehm und befreiend empfunden. Jeder Schritt, den Sie weiter voran schreiten, wird Ihnen mehr und mehr eröffnen, was es heißt, wirklich den Ton aktiv zu gestalten, und damit bewusst zu musizieren.

Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen erfolgreiche Experimente und frohes Musizieren.

F. Seiffert

6 Kommentare

  1. Hallo Felix!

    Vielen Dank für das tolle Video! Ja, das mit dem Arm ist gar nicht so leicht, du hast das wie immer super erklärt!

    Hast du bitte noch einen Tipp betreffend „hoppelnden“ Bögen über der Seite? Es passiert mir häufig beim schnellen streichen.

    Lg Alex

    • Felix Seiffert

      Hallo Alex,

      der „hoppelnde“ Bogen ist ein weit verbreitetes Phänomen bei allen Streichern. meiner Ansicht nach hängt der sehr mit einem zu festen Bogengriff zusammen. Stell dir den Idealfall vor. Der Bogen steht nur auf der Saite und auf Deinem Daumen. Und nur der Zeigefinger hält das Ganze zusammen. Dann kann der Bogen nicht flattern beim Streichen. Alles was an Fingerdruck zusätzlich auf den bogen kommt, kann dieses natürliche Gewichtsverhältnis beeinflussen. deshalb tust du als Spieler gut daran, den Bogen so leicht wie möglich in die Hand zu bekommen.

      Dass es dann ganz ohne Flattern gelingt, ist allerdings ein Prozess von längerer Zeit. Aber im Prinzip geht es darum, nicht zu fest den bogen in die Hand zu nehmen.

      viele Grüße

      Felix Seiffert

  2. Elisabeth

    Hallo Felix,

    vielen Dank für Deine differenzierte Beschreibung!
    Das probiere ich beim nächsten Üben doch gleich mal ganz genau aus,
    gerade weil es bei mir momentan grad eher nicht so klingt,
    wie ich es hören möchte.
    Eigentlich habe ich nicht das Gefühl, dass ich mit dem Bogen nicht zurechtkomme, aber es könnte doch gut zu sein, das ganze nochmal genauer zu erfühlen. 😉

    Viele Grüße 🙂

    • Felix Seiffert

      Hallo Elisabeth,

      ja, da sprichst Du die Sache richtig aus. Es geht ums erfühlen. Du spürst durch den Bogen hindurch, wie Du den Ton anstreichst. Bei allem, was man über den Strich wissen kann. Letztlich geht es darum, es zu spüren und sein ganzes Tun bei der Tongestaltung darauf auszurichten. Du spürst und hörst.

      Viele Grüße

      Felix Seiffert

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